Italo-Western
Staub, Blut und Melancholie: Der große Guide zum Italo-Western
Von Leone bis Tarantino – wie ein europäisches Subgenre das Western-Kino für immer verändert hat
Was ist eigentlich ein Italo-Western? Woher kommt das Genre, welche Regisseure haben es geprägt – und mit welchen Filmen sollte man einsteigen, wenn man die Faszination verstehen will? Dieser Guide bietet eine historische Einordnung, stellt die wichtigsten Namen vor und gibt eine Reiseempfehlung durch die staubigen Weiten des europäischen Westerns.
Herkunft und Entwicklung: Wie der Western in Europa neu erfunden wurde:
Der klassische Western war ursprünglich ein amerikanisches Genre – geprägt von John Ford, Gary Cooper, John Wayne und der Idee des heroischen Pioniers. Doch in den 1960er-Jahren kam aus einer völlig anderen Ecke frischer Wind: Aus Italien.
Der Italo-Western, auch bekannt als Spaghetti Western, entstand als subversive Antwort auf die amerikanische Western-Tradition. Anfang der 60er begannen italienische Filmemacher, Westernstoffe mit europäischen Mitteln neu zu interpretieren. Gedreht wurde oft in Spanien, mit niedrigem Budget, internationalen Darsteller:innen und einem radikal anderen Ton: moralisch ambivalent, schmutziger, brutaler – und oft stilistisch überhöht.
Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar (1964) gilt als Startschuss für das Genre, das in den folgenden zehn Jahren hunderte Produktionen hervorbrachte. Statt klarer Gut-und-Böse-Dynamiken dominieren Antihelden, Zynismus und eine düstere Weltsicht. Statt Heldentum: Gier. Statt Pathos: Melancholie. Gleichzeitig entwickelte sich der Italo-Western visuell zu einem Stilphänomen – mit ikonischer Musik, expressiven Close-Ups und symbolischer Bildsprache. Auch nach seinem kommerziellen Niedergang Mitte der 70er lebt das Genre weiter – sei es durch Hommagen von Regisseuren wie Tarantino oder durch seine stilistische DNA, die in modernen Action- und Rachefilmen weiterwirkt.
Drei Regisseure, die das Genre geprägt haben:
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Sergio Leone – Der Mythenschöpfer
Leone ist ohne Frage der wichtigste Name im Italo-Western. Seine Dollar-Trilogie – Für eine Handvoll Dollar (1964), Für ein paar Dollar mehr (1965) und Zwei glorreiche Halunken (1966) – katapultierte nicht nur das Genre, sondern auch Clint Eastwood ins Rampenlicht. Leone etablierte die zentralen Merkmale: wortkarge Antihelden, inszenatorischer Minimalismus, lange Duelle, extreme Nahaufnahmen und die unvergessliche Musik von Ennio Morricone.
Sein Meisterwerk Spiel mir das Lied vom Tod (1968) ist mehr als nur ein Western – es ist ein filmisches Monument. Mit Charles Bronson und Henry Fonda dekonstruiert Leone das Genre, spielt mit dem amerikanischen Western-Mythos und schafft ein episches, beinahe opernhaftes Epos über das Ende des Wilden Westens.
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Sergio Corbucci – Der Härtere
Corbucci ist so etwas wie der düstere Bruder Leones. Sein berühmtester Film, Django (1966), zeigt einen wortkargen Revolverhelden (Franco Nero), der einen Sarg hinter sich herzieht – ein Bild, das sich ins kollektive Kino-Gedächtnis eingebrannt hat. Django ist dreckiger, brutaler, expliziter als Leones Werke – und war in vielen Ländern lange zensiert.
Noch radikaler ist Leichen pflastern seinen Weg (1968), ein eisiger, nihilistischer Western, der in den verschneiten Alpen spielt. Giuliano Gemma spielt einen Kriegsinvaliden, der sich durch ein Umfeld aus Gewalt, Verrat und Verzweiflung kämpft. Corbuccis Filme sind häufig politisch gefärbt, mit Anspielungen auf Faschismus und Klassenkampf – und damit bis heute hochinteressant.
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Enzo Barboni – Der Humorist
Barboni brachte eine ganz andere Tonlage in den Italo-Western: Komik. Mit Die rechte und die linke Hand des Teufels (1970) inszenierte er zusammen mit Terence Hill und Bud Spencer einen der beliebtesten Filme des Genres – eine Mischung aus Western, Slapstick und Volkskino.
Barboni nahm dem Genre die Härte, ohne ihm die Wurzeln zu nehmen. Seine Filme richten sich mehr ans Massenpublikum, verbinden Prügelhumor mit Western-Motiven und sind bis heute Kult. Gerade für Einsteiger:innen, die nicht gleich mit Morricone-Melancholie beginnen wollen, bieten seine Filme einen leichten, charmanten Zugang zur Welt des Italo-Westerns.
Meine empfohlene Reise durch den Italo-Western:
Wer sich in das Genre vertiefen möchte, sollte eine Mischung aus Klassikern, stilprägenden Werken und moderner Referenz sehen. Hier eine kuratierte Reihenfolge, die sowohl Historie als auch Vielschichtigkeit vermittelt.
Django (1966)
Corbuccis raues Meisterwerk als Einstieg in die düstere Seite des Genres.
Leones Dollar-Trilogie
In chronologischer Reihenfolge schauen, um den erzählerischen und stilistischen Reifeprozess zu erleben.
Leichen pflastern seinen Weg (1968)
Für Fans von kompromisslosen Antihelden und alpiner Endzeitstimmung.
Gott vergibt – Django nie (1967)
Frühwerk mit Terence Hill und Bud Spencer, zeigt die Übergangsphase zwischen Ernst und Komik.
Die rechte und die linke Hand des Teufels (1970)
Charmanter Einstieg in den komödiantischen Italo-Western, ideal als Zwischenton.
Mein Name ist Nobody (1973)
Sergio Leone produziert und Tonino Valerii inszeniert – eine melancholische Western-Komödie über das Ende einer Ära.
Django Unchained (2012)
Tarantinos Liebeserklärung an das Genre, greift Motive auf und interpretiert sie postmodern und politisch.
Fazit: Der Italo-Western lebt
Ob düster, episch oder komisch – der Italo-Western ist ein Genre mit überraschend vielen Facetten. Er ist mehr als nur Cowboy-Romantik mit europäischem Akzent: Er ist Kommentar, Stilübung, Grenzerfahrung. Und wer sich auf die staubigen Straßen dieses Genres einlässt, entdeckt nicht nur großartiges Kino – sondern auch ein Stück Filmgeschichte, das bis heute nachwirkt.