Warfare
Ein Film, der sich nicht erklärt – und genau deshalb so eindringlich ist.
Es gibt Filme, die erzählen Geschichten. Und es gibt Filme, die Erfahrungen abbilden. Warfare, inszeniert von Ray Mendoza und Alex Garland, gehört zur zweiten Kategorie – und zwar in aller Konsequenz. Dieser Film ist kein klassisches Kriegsdrama, keine Heldenerzählung und auch kein moralisches Statement. Warfare ist ein einziger, intensiver Ausnahmezustand. Ein filmischer Schlag in die Magengrube, der weder Trost noch Erkenntnis verspricht – nur ein gnadenlos realistisches Eintauchen in einen militärischen Einsatz im Irak.
A24
Im Zentrum steht eine kleine Einheit von Navy Seals, die tief im feindlichen Gebiet operiert. Was genau ihr Auftrag ist, bleibt vage. Wer hier Freund und wer Feind ist, spielt keine Rolle. Der Film verzichtet bewusst auf jede Einordnung. Keine Rückblenden, keine Motivationen, keine Erklärungen. Stattdessen: permanente Anspannung. Das Ziel ist klar – nicht Information, sondern Immersion. Der Zuschauer wird hineingestoßen in eine Situation, die von Orientierungslosigkeit, Lärm, Ungewissheit und Angst geprägt ist. Das fühlt sich nicht wie ein Film an. Es fühlt sich wie ein Zustand an.
Diese Wirkung verdankt Warfare vor allem seiner radikalen Inszenierung. Keine Musik unterstreicht die Bilder, keine dramaturgische Kurve erleichtert den Zugang. Stattdessen bleibt die Kamera nah an den Soldaten, beobachtet mit stoischer Distanz, beinahe dokumentarisch. Die Geräuschkulisse ist nüchtern, aber eindringlich: das Knirschen von Stiefeln im Staub, das leise Rasseln der Ausrüstung, das Atmen unter dem Helm, Funkbefehle, die wie aus einer anderen Welt klingen. Und dann wieder Momente, in denen das Sounddesign alles andere als nüchtern ist: Plötzlich wird es ohrenbetäubend laut – Explosionen, Schüsse, Schreie – so intensiv und realitätsnah abgemischt, dass man sich unweigerlich duckt. Diese klangliche Wucht ist kein Effekt, sondern eine Waffe. Sie schmerzt. Und sie verstärkt die körperliche Wirkung des Films enorm.
Alex Garland, bekannt für Filme wie Ex Machina oder Annihilation, wendet sich hier gemeinsam mit Ko-Regisseur Ray Mendoza, einem ehemaligen Navy Seal, von der erzählten Fiktion ab und begibt sich in die rohe Welt des unmittelbaren Erlebens. Mendoza bringt seine Erfahrung als Berater und Militärveteran ein – und das merkt man. Nichts wirkt überhöht, nichts inszeniert. Selbst die Gewalt, die gezeigt wird, folgt keiner Choreografie. Sie passiert – plötzlich, schnell, brutal.
Ein cleverer und zugleich irritierender Schachzug ist die Besetzung. Die Soldaten, die hier scheinbar gesichtslos durch den Einsatz stapfen, sind in Wahrheit allesamt junge Schauspieler, die man aus Serien wie Stranger Things, Heartstopper, Reservation Dogs oder The Bear kennt – also aus Rollen, die stark von Emotionalität, Individualität und Fanbindung leben. Doch in Warfare werden all diese Persönlichkeiten aufgelöst. Sie spielen keine Charaktere, sondern Funktionen. Im Krieg, so scheint dieser Film zu sagen, ist jeder gleich. Namenlos. Ersetzbar. Dass genau diese bekannten Gesichter so konsequent anonymisiert werden, verleiht dem Film eine stille, aber starke Meta-Ebene: Was bleibt von einem Menschen, wenn man ihm seine Geschichte, seine Gefühle, seine Biografie nimmt? Nur der Körper. Nur der Einsatz.
A24
Dabei geht Warfare nicht den Weg vieler anderer Anti-Kriegsfilme, die mit drastischen Bildern entsetzen wollen. Vielmehr liegt die Härte des Films in seiner emotionalen Distanz. Es gibt keine Identifikationsfigur, keinen Charakter, der uns an die Hand nimmt. Die Soldaten bleiben professionell, funktional, fast mechanisch. Emotionen blitzen nur sekundenweise auf – und werden sofort wieder zurückgedrängt. Es geht um Kontrolle. Um Durchhalten. Um Disziplin. Und das macht diesen Film so unbequem.
Denn Warfare verlangt seinem Publikum einiges ab. Er will nicht gefallen, will nicht unterhalten. Er fordert. Über fast zwei Stunden hinweg hält er die Anspannung hoch – ohne Entladung, ohne klassische Höhepunkte. Die Kamera fährt weiter, auch wenn wir längst das Gefühl haben, es reicht. Und genau darin liegt die Wucht dieses Films: Er bleibt konsequent. Er verzichtet auf das, was wir als Zuschauer oft erwarten. Und zwingt uns stattdessen, durchzuhalten – so wie seine Protagonisten.
Für mich persönlich war Warfare deshalb auch eine einmalige Erfahrung. Ein Film, den ich wohl nicht ein zweites Mal sehen werde. Nicht, weil er schlecht wäre – ganz im Gegenteil. Sondern weil er so schwer auszuhalten ist. Weil er keine Katharsis bietet, keine Auflösung, keine Lehre. Was bleibt, ist ein Gefühl von Erschöpfung. Und eine vage Ahnung davon, wie es sein muss, sich in einer Realität zu befinden, die keinen Sinn ergibt – und in der es nur ums Überleben geht.
Fazit:
Warfare ist kein Film im klassischen Sinn. Es ist eine körperliche Erfahrung, ein militärischer Ausnahmezustand, gefilmt mit maximaler Konsequenz. Die radikale Abwesenheit von Storytelling macht ihn schwer zugänglich – aber gerade deshalb so wirkungsvoll. Kein Soundtrack, keine Heldenreise, keine Moral. Nur der Einsatz. Nur das Hier und Jetzt. Verstärkt durch ein Sounddesign, das sich tief ins Gehör brennt, und ein Casting, das mit Identität spielt, um sie dann zu verweigern. Für Zuschauer, die bereit sind, sich auf dieses kompromisslose Format einzulassen, ist Warfare ein intensives, nachhaltiges Erlebnis. Für alle anderen bleibt er womöglich einfach nur: zu viel.
A24