Cannes 2025
Ein Rückblick auf die Highlights des diesjährigen Cannes Filmfestivals: Jafar Panahi gewinnt die Goldene Palme mit einem politischen Meisterwerk, Joachim Trier rührt die Herzen der Jury – und bei den Darstellerpreisen zeichnen sich klare Oscar-Favoriten ab.
Während die Croisette in den letzten Jahren immer wieder mit Hollywood-Glamour und Streaming-Diskursen aufgeladen war, stand Cannes 2025 spürbar im Zeichen der Regiehandschrift – und der Rückkehr zum humanistischen Kino. Die Filme, die dieses Jahr prämiert wurden, sind allesamt geprägt von intensiver Figurenzeichnung, politischer Tiefe und emotionaler Aufrichtigkeit. Das Festival zeigte sich entschlossen, das Autorenkino zu feiern – aber nicht ohne Blick auf das Publikum. Und einige Werke dürften uns auch in der kommenden Oscar-Saison noch begleiten.
Die wichtigsten Preise des Festivals
Goldene Palme:
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It Was Just an Accident von Jafar Panahi
Die höchste Auszeichnung des Festivals geht an einen alten Bekannten: Der iranische Regisseur Jafar Panahi, lange Zeit vom Filmemachen in seinem Heimatland ausgeschlossen, gewinnt für It Was Just an Accident die Goldene Palme. Der Film erzählt in ruhigen, beinahe dokumentarischen Bildern die Geschichte eines scheinbar banalen Verkehrsunfalls, der nach und nach politische, soziale und existenzielle Abgründe offenbart. Panahi gelingt damit ein leises, aber zutiefst erschütterndes Porträt eines Landes im Stillstand – und ein eindringliches Plädoyer für die Macht der kleinen Gesten. Der Jury-Beschluss galt als klares politisches Zeichen und wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Grand Prix:
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Sentimental Value von Joachim Trier
Joachim Trier (The Worst Person in the World) bleibt der große Chronist der zwischenmenschlichen Unsicherheiten. Mit Sentimental Value erzählt er von einem erwachsenen Geschwisterpaar, das nach dem Tod des Vaters ein altes Ferienhaus ausräumt – und dabei emotional wie räumlich aufräumen muss. Der Film ist ein Meisterwerk der leisen Töne: präzise, schmerzlich ehrlich, voller Humor und zarter Melancholie. Der Grand Prix ist in Cannes die zweitwichtigste Auszeichnung – und in diesem Jahr mehr als verdient.
Preis der Jury:
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Sirat (Oliver Laxe)
Der Jurypreis, oft als künstlerischer Sonderpreis für visionäre Werke verstanden, wurde in diesem Jahr geteilt – und das völlig zurecht. Oliver Laxe (Fire Will Come) überzeugt mit Sirat, einem spirituell aufgeladenen Roadmovie durch die marokkanische Wüste, in dem mystische Bilder und existentielle Fragen eine dichte Einheit bilden.
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Sound of Falling (Mascha Schilinski)
Die deutsche Regisseurin Mascha Schilinski setzt mit Sound of Falling einen ganz anderen Ton: ein visuell und akustisch eindringliches Kammerspiel über eine Mutter-Tochter-Beziehung am Rande der Auflösung. Beide Filme eint ihre formale Radikalität – und ihre emotionale Wucht.
Bestes Drehbuch:
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Jeunes Mères von Jean-Pierre & Luc Dardenne
Die Dardenne-Brüder sind Stammgäste in Cannes – und auch dieses Jahr wieder mit einem präzisen Sozialdrama vertreten. Jeunes Mères begleitet junge alleinerziehende Frauen in einem Brüsseler Wohnprojekt. Die Jury lobte das Drehbuch für seine klare Struktur, seine lebendige Sprache und seine Empathie, ohne in Sentimentalität zu verfallen. Dass ausgerechnet das Drehbuch ausgezeichnet wurde, zeigt: Cannes 2025 war ein Festival der starken Dialoge und überzeugenden Figurenzeichnung.
Oscar-Tipps: Diese Cannes-Filme könnten in Hollywood glänzen
Bester Film & Bestes Drehbuch: Sentimental Value
Joachim Triers Film bringt alles mit, was die Academy liebt – und noch mehr. Ein starkes Ensemble, feinfühlige Inszenierung, eine Story über Verlust und Versöhnung, mit universellem Zugang. Sollte Sentimental Value den Sprung in den US-Verleih schaffen, dürfte er als Favorit in der Drehbuch-Kategorie gelten – und auch in der Königsklasse „Bester Film“ mitmischen.
Beste Hauptdarstellerin: June Squibb in Eleanor the Great
Mit über 90 Jahren liefert June Squibb (Nebraska) eine der bewegendsten Darstellungen ihrer Karriere ab. Nach dem Tod ihrer besten Freundin kämpft sich Eleanor noch einmal ins Leben und zieht nach 70 Jahren festen Wohnsitzes nach New York City. June Squibbs Rolle berührt mit Würde, Witz und Verletzlichkeit. Die Performance wurde in Cannes frenetisch gefeiert – und könnte bei den Oscars ein emotionales Ausrufezeichen setzen.
Bester Hauptdarsteller: Denzel Washington in Highest 2 Lowest
Denzel Washington meldet sich mit voller Wucht zurück. In Highest 2 Lowest, einer Neuinterpretation des Kriminalfilms Zwischen Himmel und Hölle (1963) von Akira Kurosawa liefert er eine reduzierte, zutiefst eindringliche Performance. Cannes war nur der Anfang – die Oscar-Nominierung scheint sicher.
Beste Regie (Geheimtipp): Richard Linklater für Nouvelle Vague
Mit Nouvelle Vague inszeniert Richard Linklater eine filmische Hommage an das französische Kino der 60er – aber eben nicht als bloßes Zitat, sondern als eigenständige Reflexion über Zeit, Stil und das Kino selbst. Der Film wurde zwar leer ausgegangen, gilt aber unter Kritikern als einer der formal spannendsten Beiträge des Festivals. Für die Oscars: Ein Geheimtipp, besonders in der Regie-Kategorie.
Fazit:
Cannes 2025 hat eindrucksvoll gezeigt, dass Autorenkino, Emotionalität und gesellschaftliche Relevanz kein Widerspruch sind. Mit einer starken Auswahl, politischem Mut und vielen berührenden Momenten könnte dieses Festival in die Geschichte eingehen – und einige seiner Filme schon bald auch in Hollywood wieder für Aufsehen sorgen.